SIP®-A-Lager: Weltweit erstmaliger zweistufiger Erdbebenschutz

Mexiko-Stadt: Die adaptiven Isolatoren schützen Patienten und Geräte.

Das Nationale Institut der Medizin- und Nahrungswissenschaften im Süden von Mexiko-Stadt

Mexiko-Stadt. In einem Forschungsinstitut in Mexiko-Stadt wurden die weltweit ersten SIP-A®-Lager eingebaut, um es gegen Erdbeben zu schützen. Die Lager reagieren im Erdbebenfall zweistufig und schützen so nicht nur die Struktur, sondern auch das empfindliche Innenleben des hohen, schmalen Gebäudes. Zudem sparten die innovativen Isolatoren erhebliche Baukosten ein, da die Fundamente kleiner und das Tragwerk schlanker gebaut werden konnten.

Das Nationale Institut der Medizin- und Nahrungswissenschaften im Süden von Mexiko-Stadt (Instituto Nacional de Ciencias Médicas y Nutrición Salvador Zubirán, INCMNSZ) ist ein medizinisches Lehr- und Forschungszentrum, in dem auch Patienten aufgenommen werden.

Das INCMNSZ wurde 2018/19 vom Architekturbüro Arquinteg (Mexiko-Stadt) geplant: mit 13 oberirdischen Etagen und einem unterirdischen Parkhaus mit vier Ebenen. Mexiko-Stadt liegt in einem Erdbebengebiet und angesichts der hohen und schmalen Bauweise ergaben sich relativ große Kippmomente. „Die Grundbauingenieure haben uns deshalb bereits in der Planungsphase als Experten für Erdbebenschutz hinzugezogen“, berichtet Dr. Luís Pinto, MAURER Regional Manager für Mexiko.

Es war klar, dass die Druck- und Zuglasten im Falle eines Erbebens so hoch sein würden, dass normale Fundamente nicht reichten. Entsprechend groß dimen- sionierte Fundamente wären aber zu teuer geworden. Außerdem war es vor Ort zu eng für die dann notwendigen umfangreicheren Baggerarbeiten.

Stattdessen wurden Gebäude-Isolatoren eingebaut. Wenn ein Erdbeben horizontal auf das Gebäude einwirkt, entkoppeln sie den sichtbaren Teil des Gebäudes vom unterirdischen Teil, wodurch Horizontalverschiebungen in den Isolatoren entstehen. So kommt es zu wesentlich kleineren Kippmomenten, welche einfach und wirtschaftlich zu übertragen sind.

Die frühe Einbeziehung von MAURER in den Planungsprozess ermöglichte eine innovative Lösung: „Normalerweise setzen wir in einem solchen Fall ein SIP®-D-Lager ein“, berichtet Dr. Pinto.

Isolieren, dissipieren, rückzentrieren, stabilisieren
Grundsätzlich übernehmen SIP®-Lager im Erdbebenfall vier Funktionen:

  • Sie isolieren das Gebäude von seinen Fundamenten und erlauben horizontale Bewegungen in alle Richtungen.
  • Sie begrenzen die Bewegungen durch innere Reibung, indem die Bewegungsenergie in Wärme umgewandelt wird (Dissipation).
  • Sie zentrieren das Gebäude nach einem Erdbeben wieder in seine ursprüngliche Position, weil sie konkave Gleitflächen besitzen.
  • Sie übertragen vertikale Lasten.

Die Besonderheit beim INCMNSZ war aber laut Dr. Pinto, „dass wegen der Patienten und der empfindlichen Geräte die Beschleunigungen möglichst niedrig gehalten werden sollten.“ Selbst im Erdbebenfall sollte das Institut auf jeden Fall funktionsfähig bleiben, keine Patienten durch herabfallende Teile der abgehängten Decken verletzt oder Geräte beschädigt werden. Die Richtlinien der FEMA (Federal Emergency Management Agency, US-Bundesagentur für Katastrophenschutz) geben eine maximale Beschleunigung von 0,3 g auf jeder Etage vor. Das ist mit herkömmlichen SIP®-Lagern angesichts der vielen Etagen nicht zu erreichen.

Zu dem Zeitpunkt hatte MAURER die neu entwickelten SIP®-A-Lager (MAURER Adaptive Sliding Isolation Pendulum) schon in der Schublade: Das INCMNSZ in Mexiko-Stadt war der optimale Anwendungsfall. A steht für „adaptive“, also ein Lager, das sich auf die Erdbebenanforderungen einstellt.

Innovative Stufenfunktion
Basis für das SIP®-A ist das seit 2004 eingesetzte Doppelgleitpendellager MAURER SIP®-D. Es hat zwei (D für double) konkave Hauptgleitflächen und einen Puck und ist mit dem Gleitmaterial MSM® (= MAURER Sliding Material) ausgestattet.

Neu ist, dass die beiden Gleitflächen verschieden reagieren. Das Unterteil des Lagers hat eine Gleitfläche mit niedriger Reibung. Wenn ein Erdbeben beginnt bzw. wenn es bei einem normalen Erdbeben bleibt und also nur recht geringe horizontale Kräfte wirken, dann isoliert bzw. bewegt allein die untere Lagerebene.

Wenn die Erdbebenkräfte allerdings größer werden, erfordert das auch eine größere Verschiebung in den Isolatoren. Dann kommt die zweite, obere Gleitfläche ins Spiel. Diese hat eine höhere Reibung und erzielt damit auch eine höhere Energiedissipation bzw. Bremswirkung. Dadurch wird die Bewegung des Gebäudes stärker reduziert und besser kontrolliert.

Die obere Gleitfläche wird nur durch relativ starke Erdbeben aktiviert. Der Stufeneffekt ist vor allem für höhere Bauwerke relevant, weil bei herkömmli- chen Lagern, die auch große Erdbebenenergien dissipieren können, die Anfangs- reibung, d. h. der Widerstand, recht hoch ist. Es gibt also einen Anfangsruck in dem Moment, in dem die Reibung überwunden wird. Dieser Ruck führt nach oben im Gebäude zu immer höheren und nicht akzeptablen Beschleunigungen mit Schäden am Inhalt und am Bauwerk.

SIP®-A reagiert bereits bei einer niedrigeren Krafteinwirkung sehr sanft ohne zu rucken. Die 2. Stufe wird dann während der Bewegung aktiviert. Das bewirkt, dass sich das Gebäude eben nicht ruckartig bewegt, sondern sanft schwingt, was die Beschleunigung auch in den oberen Etagen unter die zulässigen Grenz- werte reduziert.

Die adaptiven Doppelgleitpendellager SIP®-A im INCMNSZ haben einen effek- tiven Pendelradius von 6.000 mm. Dieser steuert die Isolierperiode derart, dass innerhalb der horizontalen Bewegung von bis zu ± 300 mm in alle Richtungen die horizontale Beschleunigung auf unter 0,3 g – auch in den oberen Stockwerken – absinkt. Insgesamt wurden 34 Lager eingebaut, welche eine Lebensdauer von mindestens 50 Jahren haben. Sie übertragen vertikale Lasten bis zu einer maxi- malen Auflast von 10.900 kN.

Kosteneinsparungen durch die Isolatoren
Durch die SIP®-A-Lager konnten erhebliche Baukosten eingespart werden, weil nur normale Fundamente erforderlich waren. Zudem wurde das Tragwerk opti- miert nachdem klar war, welche Kräfte die Erdbebenlager aufnehmen. Geplant war ursprünglich ein Stahltragwerk mit großen Verbundstützen. Infolge der reduzierten Erbebenlasten war kein Betonanteil an den Stützen erforderlich, es reichte ein Stahltragwerk.

Die ersten SIP®-A-Lager weltweit wurden 2020 in München gebaut und im EUCENTRE in Pavia (Italien) getestet. Der Einbau erfolgte von April bis November 2021. Das INCMNSZ soll in der zweiten Jahreshälfte 2024 eingeweiht werden.

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